Ferdinand Tönnies
Soziologe, Nationalökonom und Philosoph (1855 - 1936)
Ferdinand Tönnies, geboren am 26. Juli 1855 bei Oldenswort auf der Eider-Halbinsel, damals dänisch, war ein bedeutender Nationalökonom, Philosoph und vor allem der Begründer der deutschen Soziologie. Sein Vater war sehr vermögender Großbauer. Ihn interessierte schon in jungen Jahren aber viel mehr die Wissenschaft und nicht die Landwirtschaft.
Schon als Schüler war er Korrekturgehilfe des Dichters Theodor Storm, den er über dessen Vater kennenlernte und mit dem ihn eine lebenslange Freundschaft verband. Bereits mit 16 Jahren machte er das Abitur in Husum und promovierte mit 22 Jahren mit einem philologischen Thema in Tübingen. Mit 25 Jahren habilitierte er sich an der Christian-Albrechts-Universität in Kiel, der er zeitlebens als Hochschullehrer verbunden blieb, anfangs 27 Jahre als Privatdozent. Die Ernennung zum Professor wurde zunächst von der preußischen Kultusbürokratie blockiert. Von 1909 bis 1933 war Tönnies dann Professor in Kiel. 1921 übernahm er einen Lehrauftrag für Soziologie. Dieser endete 1933 mit seiner Entlassung aus dem Beamtenverhältnis durch die nationalsozialistischen Machthaber wie auch die Präsidentschaft der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, die Tönnies seit 1909 innehatte. Grund war seine öffentliche Kritik an Adolf Hitler und dem Nationalsozialismus. Seine Pension wurde auf das Existenzminimum gekürzt und jegliche Möglichkeit zum Publizieren eingestellt.
In der Weimarer Republik war Tönnies die repräsentative Figur der deutschen Soziologie. In seinen Werken, insbesondere durch sein Erstlingswerk „Gemeinschaft und Gesellschaft“ von 1887 formulierte Tönnies die Grundlagen der Soziologie als Wissenschaft. Es wurde später zum Standardwerk dieser neuen Wissenschaft. Er fächerte den Begriff Soziologie wissenschaftlich auf in die allgemeine und spezielle Soziologie und letztere weiter in die reine, angewandte und empirische Soziologie. Die menschlichen Beziehungen betrachtete er aus unterschiedlichsten Gesichtspunkten. Dies war das Wesen der damals neuen Disziplin in der Wissenschaft.
1894 heiratete Tönnies die 11 Jahre jüngere Marie Sieck aus Kirchnüchel. Die Hochzeitsfeier fand im historischen Gasthaus „Voßhaus“ in Eutin statt (das leider 2006 abbrannte). So kam es zu einer ersten Berührung mit Eutin. Das Ehepaar zog aber bald darauf von Kiel nach Hamburg, dann nach Altona und erst 1901 für 20 Jahre nach Eutin. In der damaligen Auguststraße, heute Albert-Mahlstedt-Straße, mietete Tönnies zunächst das Obergeschoss des Hauses Nr. 8 und kaufte es aber später ganz. Tönnies fuhr per Bahn zur Universität Kiel und reiste wie in seinem ganzen Leben auch zu Eutiner Zeit sehr viel, sodass er wohl recht selten zu Hause war. Seine Frau freute sich aber sehr über den Wohnsitz in Eutin, da sie wieder nahe an ihrem Geburtsort Kirchnüchel und ihrem Freundeskreis war.
Die Reisefreude von Ferdinand Tönnies war beeindruckend. Er reiste u. a. schon 1878 für 10 Wochen nach London, 1883 in die Schweiz, 1884 und 1886 wieder nach England und 1888 nach Paris. Er musste ermahnt werden, genug Vorlesungen in Kiel zu halten, um nicht die Position als Privatdozent zu gefährden. Auch nach der Heirat setzte er seine intensive Reisetätigkeit – immer ohne Ehefrau, bis auf eine Kongressreise nach Rom – fort. 1904 fand eine besondere Reise in die USA statt. Bei einem Kongress im Rahmen der Weltausstellung in St. Louis wurde er als Vortragsredner eingeladen. Er reiste mit großer Delegation auf dem Schnelldampfer „Kaiser Wilhelm der Große“ und hielt in St. Louise den Vortrag „The Present Problems of Social Structur“. Der wurde im „American Journal of Sociology“ veröffentlicht und Tönnies wurde künftig als Mitherausgeber der Zeitschrift genannt.
Ferdinand Tönnies hatte ein hoch interessantes Leben und schuf die bedeutende Wissenschaft der Soziologie. Umso tragischer ist seine durch die Nationalsozialisten beendete Laufbahn mit Pensionskürzung auf das Existenzminimum und Publizierungsverbot 1933. Tönnies verstarb isoliert in seinem Haus in Kiel am 09. April 1936 im Alter von 80 Jahren.
Video über ein Werkstattgespräch mit Alexander Wierzock "Der Soziologe Ferdinand Tönnies in Eutin und Kiel" (Eutiner Landesbibliothek)
